Thema Heute: Bekenntnis


Es war an einem Montagabend.
Völlige Stille in meiner Wohnung.
Alle Telefone sind abgeschaltet und keiner meiner Freunde würde es wagen bei mir auf einen Plausch vorbeizuschauen.
Denn alle wissen, heute ist es soweit.
Bei einem Sieg meiner Mannschaft in Frankfurt werden alle Dämme brechen.

Fünf Jahre ist es her, das ich zum letzten Mal Tränen vergossen habe.
Damals ging es für den MSV Duisburg, einem Fußballverein dem ich nun schon seit fast 19 Jahren treu bin, in die zweite Liga. In der Saison zeichnete sich es schon von Beginn an ab, dass nichts zu holen ist. Der fünfte Abstieg war eigentlich schon besiegelt bevor der erste Ball überhaupt getreten wurde. Einige werden mir da jetzt widersprechen, aber ich hatte einfach so ein „Gefühl“.

Als dann der Abstieg feststand, war auch für mich klar, dass ich der Schuldige für den Abstieg bin. Mein schlechtes Gefühl hat mich beeinflusst und diese negative Grundstimmung habe ich die ganze Saison ins Wedaustadion getragen und verbreitet. Wie einen Tumor, den man nicht aufhalten kann, habe ich auch alle um mich herum angesteckt und die Mannschaft meine Resignation spüren lassen. Von wegen anfeuern oder singen, ausgelacht habe ich diese Mannschaft. Emmerling, Spies, Anderson und Konsorten hatten nie eine Chance die Klasse zu halten.

Als dann drei Spieltage vor Schluss Hansa Rostock im vorbeigehen mal eben mit 3:1 gegen meine „Helden“ gewann, vergoss ich zum letzten Mal für lange Zeit Tränen. Mit dem Ausgang dieser Partie wurde nämlich der Abstieg der Zebras besiegelt und ich, im Bewusstsein es von Anfang an gewusst zu haben, war am Boden zerstört.
Nicht der verblödete Vorstand, nicht der Trainerstab um Friedhelm Funkel und Seppo Eichkorn oder gar die Mannschaft waren schuld…nein, ich war es.

Die folgenden Jahre verbrachte ich damit, den Verein und seine Fans um Entschuldigung zu bitten. Ich musste es einfach. Mich traf ja die Hauptschuld. Also tat ich mir Spiele, wie das 2:4 gegen Ahlen vor unschlagbaren 5000 Zuschauern, an. Fuhr zu Auswärtsspielen und betrank mich rücksichtslos aus lauter Frust darüber, was ich getan hatte.
Knappe drei Jahre nahm ich alles auf mich um den „Gang nach Canossa“ so gut wie möglich zu vollziehen.

Dann, ich hatte schon etliche Therapien und Besäufnisse hinter mir, meinte jemand den Bann zu brechen und steckte Geld in den Club, baute ein neues Stadion, kaufte Spieler und verbreitete eine positive Grundstimmung mit dem Tenor: „Wir steigen wieder auf!!!“

Plötzlich hatte ich wieder so ein „Gefühl“. Langsam aber sicher wurde dieses Gefühl immer größer. Es war das Gefühl des Erfolges, des Aufstiegs. Also machte ich mich an die Arbeit die Menschen in meiner Umgebung positiv zu beeinflussen.
Denn ich wusste, der Weg würde schwer werden. Hatte ich doch alle Zebra- Seelen verdorben. Der Glaube war ihnen verloren gegangen und sie lachten jeden aus, der den MSV mit dem Wort „Aufstieg“ assoziierte.

Und der Weg wurde schwer. Rückschlag auf Rückschlag folgte, doch ich glaubte.
Auch wenn Spiele verloren wurden und der Kopf des Trainers gefordert wurde, ich glaubte.
Ich glaubte an den Trainer, den Vorstand, die Mannschaft und an die Fans.
Und irgendwann glaubten auch die Fans, die Stadt, die Fans anderer Vereine und, letztendlich, auch die Mannschaft.

Am 9.5.2005 um 20:26 Uhr, schnappt sich, der von mir verfluchte und gleichzeitig geliebte Stürmer des MSV, Abdelaziz Ahanfouf, auf der rechten Seite der Commerzbank-Arena den Ball, lässt einen Verteidiger von Eintracht Frankfurt wie einen Schuljungen stehen und haut die Kirsche oben links in den Winkel.
Als dann der Georg Koch auch noch einen Elfmeter hält, war mir klar: es ist geschafft…

Der Schlusspfiff ertönt nur leise. Und doch realisiere ich ihn sofort. Endlich, nach Jahren der Hölle, kann ich wieder weinen. Ganz alleine in meiner Wohnung, vor einem kleinen Fernseher, mit einer Lucky Strike in meiner Hand, auf meinem Sofa sitzend, weine ich wie ein Baby.
Doch sind es nicht Tränen der Trauer. Es sind Tränen der Freude.
Die Last ist von mir gefallen und ich schwöre, dass sie nie wieder kommt.

Denn jetzt glaube ich an meinen Verein und an die Fans. Gemeinsam können wir Berge versetzten, wenn wir nur laut genug sind und aufhören uns zu selbst zu bemitleiden, weil es das Schicksal so schlecht mit uns meinte und Papa uns mit ins Wedaustadion genommen hat und nicht Fan eines erfolgreichen Vereines war.
Wir sollten unser Schicksal mit Würde tragen und uns zu dem bekennen, was uns mit in die Wiege gelegt wurde: die Liebe zum MSV.

Denn am Ende sieht es doch so aus: Was man liebt, soll man auch mit Liebe überschütten und nicht verdammen.

So fordere ich alle, die sich mit dem MSV verbunden fühlen, sich nie mehr von der Presse, Freunden oder Bekannten negativ beeinflussen zu lassen.
Ab jetzt denken wir nur noch positiv.

Ab jetzt glauben wir an den MSV!